Moonshot _ 05

gesundes Mikrobiom

Vielleicht tragen wir unsere ganz persönliche Apotheke schon längst bei uns. Denn jeder Mensch teilt seinen Körper mit Billionen Bakterien, Viren und Pilzen, die Mundhöhle, Haut und Darm besiedeln. Die Gesamtheit dieser Kleinstorganismen bildet das Mikrobiom – und das hat großen Einfluss auf unseren Stoffwechsel damit auf unsere Gesundheit. Gelingt es der Wissenschaft, das Mikrobiom gezielt zu beeinflussen, kann es uns gesund halten, Krankheiten lindern oder sogar heilen. Weil jeder Mensch über seinen eigenen „mikrobiellen Fingerabdruck“ verfügt, ist auch die Beeinflussung des Mikrobioms eine hochindividuelle Angelegenheit. Die gezielte Auswahl von Lebensmitteln spielt dabei eine entscheidende Rolle.

 “Wir dachten bislang, dass Medikamente von Pharmaherstellern entwickelt werden, von den zuständigen Behörden zugelassen und von Ärzten verschrieben werden. Jetzt zeigt sich, dass viele Arzneien mit ähnlichem Potential und ähnlicher Spezifizierung vom menschlichen Mikrobiom selbst hergestellt werden.”

Michael Fischbach, UCSF

Bakterien als Therapie

Bereits im Jahr 1890 beobachtete der New Yorker Mediziner William B. Coley, dass sich die Tumore einiger seiner Krebspatienten nach einer bakteriellen Infektion zurückbildeten. Heute hat die Idee, dass Bakterien antitumoral wirken, wieder Hochkon­junktur.

Mit Hilfe neuer und erschwinglicher Technologien zur Sequenzierung von Bakteriengenomen sind zahlreiche Forschergruppen auf der Suche nach Mikroben, die gegen Morbus Crohn, Diabetes Typ 1, Übergewicht oder Krebs eingesetzt werden können. Die als hilfreich identifizierten Keime könnten dann als eine neue Generation von Probiotika in Trinkjoghurts gemixt, im Supermarkt verkauft oder vom Arzt verschrieben werden.

Verbraucherschützern ist der Zusatz von Bakterien zu Lebensmitteln allerdings suspekt. Sie kritisieren, dass nur wenige Studien die gesundheitliche Wirksamkeit der Probiotika belegen. Ihre Alternative: Traditionelle Sauermilchprodukte wie Kefir und fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut hätten eine schützende Wirkung auf die Darm­flora und aktivierten das Immunsystem.

 

Hoffnung für Darmpatienten

Forscher blicken auf der Suche nach Mikroben mit Heilungspotenzial allerdings nach vorn und suchen nach neuen heilenden Bakterien – das „Microbial Mining“ ist in vollem Gang. Dabei hat unter anderem schon Bacte­roides fragilis auf sich aufmerksam gemacht. Das Bakterium gehört zur natürlichen Darmflora des Menschen und könnte einmal chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa lindern.

Aktuell ist etwa ein Prozent der Menschen welt­weit von diesen Leiden betroffen, aber die Raten steigen. Warum genau, ist unklar. Sicher ist, dass beide Darmkrankheiten zwar genetische Komponenten ha­ben, die aber nur in Kombination mit Umweltfaktoren zum Ausbruch führen.

Hier könnte Bacte­roides fragilis ins Spiel kommen: Das Bakterium sondert Zucker­moleküle ab, durch die Darmzellen zur Bildung von antientzündlichen Stoffen angeregt werden. Studien an Mäusen haben bereits gezeigt, dass kranke Tiere durch die Gabe von Bacte­roides fragilis pro­fitieren.

Die Suche nach den Champion-Mikroben

Auch die Sportwissenschaft hat das Bakterium für sich entdeckt und forscht nach Keimen, die die Leistungsfähigkeit steigern. Amerikanische Forscher haben bereits entdeckt, dass Spitzenathleten Mikroben im Darm tragen, die besonders gut Milchsäure abbauen – die Substanz also, deren Salz die Muskeln müde werden lässt.

Auf der Suche nach weiteren Kei­men, die Leistung oder Regeneration verbessern, untersuchen Forscher Stuhlpro­ben von Spitzensportlern auf der ganzen Welt. Solche „Champion-Mikroben“ sollen helfen, Weltmeistertitel zu gewinnen – aber auch Breitensportler könnten profitieren und mit Bakterienhilfe fit und gesund bleiben.

Es gibt allerdings auch kritische Stimmen. Einige Wissenschaft bezweifeln, dass man Mikroben einfach verpflanzen kann und sie in einem anderen Körper die gleichen leistungssteigernden Wirkungen haben. Andere Forscher warnen vor einer Fehlbesiedlung des Dünndarms. Probiotika seien nur nützlich, um die Darmflora nach einer Behandlung mit Antibiotika neu aufzubauen. Davon abgesehen, sollte der Konsum nur eingeschränkt stattfinden.

 

Das Comeback der Ballaststoffe

Wenn es um gesunde Ernährung geht, denken viele Menschen zuerst an Vitamine oder Mineralstoffe. Ballaststoffe haben eher den Ruf, die Darmtätigkeit zu anzuregen und für ein anhaltendes Sättigungsgefühl zu sorgen. Allerdings glauben Forscher jetzt, eine neue Funktion der Ballaststoffe entdeckt zu haben: Sie sind das Futter unseres Mikrobioms.

Essen wir nicht genug Ballaststoffe, machen sich unsere Darmbakterien irgendwann über die Schleimschicht (Mukosa) her, die unseren Darm schützt – genauer gesagt, über die üppig enthaltenden Zuckerverbindungen. Wird die Schleimschicht löchrig, kann der Darm den Körper nicht mehr vor Infektionen schützen. Wenn wir unsere Darmbakterien also nicht ausreichend füttern, fressen sie uns im wahrsten Sinn des Wortes von innen auf. Ein Grund mehr, auf eine ballaststoffreiche Ernährung zu achten.

 

Die körpereigene Apotheke

Unser Mikrobiom kann noch mehr. Es entpuppt sich zunehmend als vielfältiger Produzent von Arzneimitteln. Das kommt nicht ganz überraschend, denn etwa ein Drittel aller heute eingesetzten Medikamente wurden ursprünglich von Mikroorganismen oder Pflanzen produziert – zum Beispiel Antibiotika, Insulin oder Interferone, die in der Chemotherapie eingesetzt werden.

Der amerikanische Forscher Michael Fischbach konnte jetzt in Bakterien unterschiedlicher Körperregionen rund 3.100 Gengruppen identifizieren, die Baupläne für die Produktion von bioaktiven Substanzen enthalten. Damit kann ein Bakterium Stoffe herstellen, die mit Zellen und Botenstoffen im Körper interagieren – zum Beispiel um Krankheitserreger zu bekämpfen.

So produzierte körpereigene Antibiotika zerstören die Zellwand der Krankheitserreger oder zerstören elementare Moleküle, die deren Vermehrung steuern. “Wir dachten bislang, dass Medikamente von Pharmaherstellern entwickelt werden, von den zuständigen Behörden zugelassen und von Ärzten verschrieben werden“, kommentiert Fischbach seine Entdeckung. „Jetzt zeigt sich, dass viele Arzneien mit ähnlichem Potential und ähnlicher Spezifizierung vom menschlichen Mikrobiom selbst hergestellt werden.”

 

Schlank dank Darmflora

Auch beim Thema Fettleibigkeit scheint unser Mikrobiom eine entscheidende Rolle zu spielen. Allerdings ist jede Darmflora höchst individuell und entsprechende Studienergebnisse sind deshalb nicht leicht zu interpretieren.

Also haben sich Forscher auf eineiige Zwillinge mit stark unterschiedlichem Körpergewicht konzentriert. So konnten sie unter anderem nachweisen, dass die Darmflora des jeweils schlanken Zwillings ein weitaus vielfältigeres Mikrobiom besaß als die des übergewichtigen Zwillings. Dass diese unterschiedlichen Eigenschaften angeboren sind, ist bei eineiigen Zwillingen nicht möglich.

Noch steht die Mikrobiomforschung ganz am Anfang. Aber sie deutet bereits heute an, welche enorme Bedeutung das Mikrobiom für unsere Gesundheit haben könnte.

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