Moonshot _ 04
Hohe Biodiversität
Schutz und Erhalt der Biodiversität zählen zu den derzeit größten Herausforderungen der Menschheit. Um die Artenvielfalt auf der Erde zu bewahren und damit den Fortbestand seiner Zivilisation zu retten, muss sich der Mensch zurücknehmen und beschränken. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Landwirtschaft zu: Denn als Teil der ökologischen Vielfalt beeinflusst sie deren Entwicklung unmittelbar – unter anderem als mächtiger Konkurrent, der Flächen und Ressourcen für sich beansprucht. Einerseits sichert Landwirtschaft unsere Lebensgrundlage, andererseits zerstört sie durch nicht nachhaltigen Umgang mit der Natur, was uns am Leben hält.
Denn Vielfalt ist das wichtigste Überlebensprinzip der Natur. Und eine hohe Biodiversität ist die ökologische Lebensversicherung für heutige und zukünftige Generationen. Eine große Artenvielfalt und eine genetische Bandbreite innerhalb der Arten machen die Natur deutlich anpassungs- und widerstandsfähiger gegenüber dynamischen Umweltbedingungen – wie Klimaveränderungen, neuen Krankheiten oder Schädlingen. Das Aussterben einer Art hingegen ist unumkehrbar und schafft unkalkulierbare Risiken. Der Verlust von Arten und Ökosystemen könnte dramatischere Folgen haben als der Klimawandel.
„Der Verlust von Arten, Ökosystemen und genetischer Vielfalt ist eine globale und generationsübergreifende Bedrohung.“
Josef Settele, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Halle
Das große Artensterben
In seinem aktuellen Report[1] zeichnet der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovermental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ein düsteres Bild vom Zustand der Biosphäre. An seiner detaillierten Analyse haben mehr als 400 Wissenschaftler mitgewirkt, die analysiert haben, wie es um Wälder und Sümpfe steht, um Ozeane, Flüsse und Seen und wie sich das auf den Artenreichtum auswirkt. Weltweit sind demnach zwischen einer halben und einer Millionen Arten vom Aussterben bedroht. Darüber hinaus sollen ein Viertel aller katalogisierten Tier- und Pflanzenarten bereits verloren sein – und Tag für Tag sterben über 100 weitere Pflanzen oder Tierarten unwiederbringlich aus.
Grund für diese verhängnisvolle Entwicklung ist der rasant steigende Verbrauch von Nahrung, Wasser, Energie und sonstigen Ressourcen. Das ungebremste wirtschaftliche Wachstum und eine immer weiter steigende Zahl an Menschen bringen die Erde an ihre Belastungsgrenze. Laut IPBES sind 75 Prozent der Landfläche, 40 Prozent der Ozeane und die Hälfte der Flüsse und Seen stark verändert – mit katastrophalen Folgen für Wildtiere und Menschen. Das Artensterben ist real und hat bereits dramatische Auswirkungen angenommen.
Überlebenswichtige Biodiversität
Nichts und niemand existiert für sich ganz allein. Im Gegenteil: Auf unserem Planeten ist alles miteinander verbunden und voneinander abhängig. Funktionierende Ökosysteme sorgen für Sauerstoff, sauberes Grundwasser, bewohnbare Landschaften und fruchtbaren Boden. Auf dieses ökologische Gleichgewicht um uns herum sind wir angewiesen – nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftlich, sondern schlichtweg, um zu überleben. Wie wertvoll und fragil dieses Gleichgewicht ist, wird uns erst jetzt bewusst, da die biologische Vielfalt und damit auch die Ressourcen konkret bedroht sind.[2]
Um in Zukunft 10 Milliarden Menschen zu ernähren, brauchen wir eine ertragsorientierte Landwirtschaft. Und wie finden wir dabei die Balance zwischen hoher landwirtschaftlicher Produktivität und dem Erhalt biologischer Vielfalt? Oder schließen sich hohe Erträge und hohe Biodiversität gegenseitig aus? Eins steht jedenfalls fest: Wenn wir die biologische Vielfalt nicht bewahren, werden wir unsere Ernährung nicht langfristig sichern können.
Die Rolle der Landwirtschaft
Galt die Landwirtschaft viele Jahre als Garant für die Arten- und Biotopvielfalt, gehört sie heute zu deren gefährlichsten Verdrängern. Egal, ob per Hand oder mit modernen Maschinen: Landwirtschaft beeinflusst die biologische Vielfalt und ist damit mitverantwortlich für den Rückgang der Artenvielfalt in der Pflanzen- und Tierwelt. Pflügen, Ernten, Säen – das alles sind tiefe Eingriffe in ein ursprüngliches Ökosystem, das gezielt zugunsten von Nutztieren und Kulturpflanzen verändert wird. Dazu ist die Gestaltung dieser Agrarlandschaften auch noch ständigem Wandel unterworfen, getrieben von politischen Entscheidungen, landwirtschaftlichen Techniken oder neuen Kulturpflanzen.
Landwirtschaft etablierte sich erst vor ca. 10.000 Jahren und ist damit eine sehr junge Erfindung der Menschheit. Die frühesten europäischen Kunstwerke, wie Höhlenbilder oder kunstvoll gestaltete Figuren, sind 30.000 – 40.000 Jahre alt, der Mensch als Spezies wird auf ca. 200.000 Jahre geschätzt. Der Abschnitt der Menschheitsgeschichte, in dem Landwirtschaft getrieben wird, liegt also in der Größenordnung bei 5% – vorher lebten Menschen vor allem als Jäger und Sammler.

Spezialisierung macht verwundbar
Obwohl wir mehr als 30.000 essbare Pflanzenarten kennen, hängt die Ernährung der Welt heute von rund 30 Kulturpflanzen ab. Aber diese Spezialisierung auf wenige Getreide- und Gemüsesorten mit hohem Ertrag macht die Menschheit verwundbar: Die begrenzte Artenauswahl macht unsere Äcker nicht nur anfälliger für Krankheiten und Schädlingsbefall, sondern hat auch direkten Einfluss auf unsere Gesundheit. Je einseitiger wir uns ernähren, desto weniger vielfältig wird auch unser Mikrobiom – und das hat negative Folgen für unseren gesamten Stoffwechsel. Es reicht also nicht, genetische Vielfalt nur in Saatgutbanken zu bewahren. Wir brauchen sie in unserem Ökosystem.
Blick nach vorn statt Blick zurück
Machen wir uns nichts vor: Die urwüchsigen Agrarlandschaften des vergangenen Jahrtausends können wir nicht zurückholen. Kleinräumig strukturierte Landschaften gehören ebenso der Vergangenheit an wie neue Lebensräume, die durch nährstoffentziehende Bewirtschaftung entstehen. Stattdessen wird sich die Evolution der Agrarlandschaften fortsetzen: mit riesigen Flächen, die monokulturell mit Energie- und Nahrungspflanzen bebaut und von Hecken und anderen Strukturelementen und Schutzgebieten durchzogen sind.

Pflanzenschutz ohne Pestizide
In der öffentlichen Diskussion gelten Pestizide oft als Hauptschuldige am Insektensterben, am Artenrückgang und an Umweltbelastungen. Werden Nutzpflanzen aber nicht gegen Nahrungskonkurrenten, Schädlinge und Krankheiterreger geschützt, ist ertragreiche Landwirtschaft unmöglich. Laut europäischem „Green Deal“ soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 halbiert werden.
Eine Alternative könnten ausgerechnet die traditionellen mechanischen und biologischen Pflanzenschutz-Methoden sein, die einst durch Pestizide verdrängt wurden, wie Bodenbearbeitung, Fruchtfolge, Aussaattermin, Aussaatmenge und Sortenresistenz. Das genaue Gegenteil findet übrigens beim Maisanbau für Biogasanlagen statt: Enge Fruchtfolgen, insbesondere der jahrelange Anbau von Mais nach Mais, bereiten den Boden für Schadinsekten, gegen die dann Insektiziden (Neonicotinoide) zum Einsatz kommen – mit teilweise katastrophalen Folgen für die Begleitfauna.
Ein weiterer Ansatz ist es, die Pflanzen selbst gegen Krankheiten und Schädlinge widerstandsfähiger zu machen. Sind die Möglichkeiten klassischer Resistenzzüchtung dabei äußerst begrenzt, versprechen neue molekularbiologische Werkzeuge gezieltere, effizientere und vor allem schnellere Lösungen. Mit modernen Genome-Editing-Verfahren, wie der „Gen-Schere“ CRISPR/Cas, können Nutzpflanzen besser gegen Krankheitserreger wie Viren, Pilze, Bakterien gewappnet werden. Allerdings sind die neuen gentechnischen Züchtungsverfahren nicht nur höchst umstritten, in der EU sind konkrete Anwendungen derzeit faktisch ausgeschlossen, da ihnen das Stigma „Gentechnik“ anhaftet.
Roboter sind die Farmer der Zukunft
Nicht nur der Pflanzenschutz der Zukunft beschäftigt die Landwirtschaft. 125 Jahre nach der Erfindung des Traktors steht ihr durch die Digitalisierung eine weitere Revolution bevor: Kleine, GPS-gesteuerte und autonom fahrende Feldroboter werden schon bald die riesigen Mähdrescher ersetzen und dazu beitragen, dass weniger Pestizide und Düngemittel in die Umwelt gelangen. Die mechanischen Farmer sind nicht nur mit einem Fahrsystem und einem Computer ausgestattet, sondern auch mit einer Kamera, die Unkraut erkennt, sowie mit einem Laser, der es präzise zerstört. Diese technische Revolution wird zu völlig neuartigen Vermarktungsansätzen führen und innovative Wertschöpfungsketten entstehen lassen.

Ein neues Naturverständnis
Auf landwirtschaftlicher Ebene müssen die bekannten und etablierten Maßnahmen zur Förderung biologischer Vielfalt weiter gefördert werden – seien es Blühstreifen, gezielt genutzte Brachflächen oder das Management ausgewiesener Schutzgebiete.
Um die Krise der Natur zu bewältigen, muss der Mensch darüber hinaus lernen, die Erde mit Achtsamkeit, Demut und Bescheidenheit zu bewohnen. Eine neue Ethik des Weniger und ein neues Menschenbild sind notwendig, das menschliche Größe nicht mehr als Dominanz über die Biosphäre definiert, sondern als Fähigkeit, allem Lebendigen Würde, Platz und Bedeutung einzuräumen. In einer Welt, in der Fortschritt und Lebensqualität umfassender definiert werden als durch Umsatzrenditen, bietet ein neues Naturverständnis große Chancen.
Die Zukunft der Landwirtschaft
Für eine nachhaltige Lösung müssen wir einen gemeinsamen Weg finden, den alle Beteiligte konsequent mitgehen können. Einen Weg, der Lösungen gegen Wasserknappheit, erodierende Böden, Klimawandel und Lösungen für den Erhalt der Artenvielfalt in sich trägt. Einen Weg, der Menschen angemessen ernährt und der die besten technologischen Lösungen beschreibt, um den immer kleiner werdenden Raum Erde effizient und nachhaltig zu nutzen. Einen Weg, der die richtige Balance für die Umwelt, die Landwirtschaft und für kommende Generationen findet.
Wir haben alle zusammen eine große Mitverantwortung für die Zukunft der Landwirtschaft. Diese Verantwortung ist nicht teilbar und in ihr muss jeder seinen Beitrag leisten. Wir wollen ein Teil dieser Lösung sein.
[1] The global assessment report on BIODIVERSITY AND ECOSYSTEM SERVICES (2019), http://bit.ly/GlobalAssessmentReport
[2] S. Díaz et al., Pervasive human-driven decline of life on Earth points to the need for transformative change, Science 366 (2019)
[3] Christoph Künast; Friedrich Dechet (2013): Landwirtschaft, Biodiversität und Pflanzenschutzmittel – passt das zusammen?
Unsere Lösung:
Wir arbeiten daran…